„Wir feiern jetzt zweimal im Jahr Geburtstag“

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Gruppenfoto: Für ihr vorbildliches Verhalten ehrte Landrat Thorsten Stolz Ersthelferinnen und Ersthelfer mit der Hessischen Rettungsmedaille: Fabian Just, Michelle Okrusch, Christian Slowik, Isabel Acker, Alina Hüttner und Björn Herber (v.l.)

6. April 2022. - Landrat Thorsten Stolz hat in Vertretung des Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier sechs Ersthelferinnen und Ersthelfer mit der Hessischen Rettungsmedaille ausgezeichnet. Es sind Alina Hüttner aus Mespelbrunn, Michelle Okrusch aus Flieden, Isabel Acker aus Wächtersbach, Fabian Just aus Gelnhausen, Christian Slowik aus Langenselbold und Björn Herber aus Limeshain. Die Verleihung sei ihm eine besondere, eine persönliche Ehre, betonte der Landrat in seiner Begrüßung und überbrachte den Geehrten den herzlichen Dank der Hessischen Landesregierung, des Kreisausschusses und aller Anwesenden im Main-Kinzig-Forum in Gelnhausen. „Alle sechs Ersthelferinnen und Ersthelfer haben, genau wie der siebte, Maurice Cox aus Linsengericht, der leider nicht anwesend sein kann, großen Mut und Zivilcourage bewiesen.“

Die Verleihung der Hessischen Rettungsmedaille sei alles andere als alltäglich. Im Jahr 2019 sei sie 27-mal, im Jahr 2020 22-mal und im Jahr 2021 31-mal vergeben worden. „Die hohe Zahl im vergangenen Jahr geht auf die Medaillen zurück, die ich heute überreichen darf“, so Thorsten Stolz. In seiner Laudatio unterstrich der Landrat: „Die drei Frauen und vier Männer, die für ihr vorbildliches Verhalten ausgezeichnet werden, sind am 1. Juni 2021 über sich hinausgewachsen. Sie haben in einer Gefahrensituation beherzt gehandelt und unter eigener Lebensgefahr Menschen aus Lebensgefahr gerettet. Sie haben ein besonderes Maß an Hilfsbereitschaft gezeigt.“ Dies sei in der heutigen Zeit etwas Besonderes. Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehr erlebten im Dienst immer öfter Menschen, die wegschauten oder ihr Handy zückten, statt zu helfen. Dabei könne geistesgegenwärtiges Eingreifen in einer Notsituation darüber entscheiden, ob ein Menschenleben gerettet wird oder nicht. Im Main-Kinzig-Kreis gebe es eine gute Hilfs- und Rettungsinfrastruktur, fuhr der Landrat fort. Wähle ein Mensch in einer Notsituation die 112, seien innerhalb von zehn Minuten die Rettungskräfte vor Ort. „2021 gab es im Kreis 79.000 Rettungsdiensteinsätze und 4.800 Einsätze der Feuerwehr“, berichtete er. Doch selbst diese gesetzlich festgelegte Hilfsfrist könne Menschen in einer Notsituation endlos vorkommen: „Deshalb ist es so wichtig, dass Ersthelferinnen und Ersthelfer Personen in Not helfen, Maßnahmen einleiten und Verantwortung übernehmen.“

Genau das haben die sieben Geehrten am 1. Juni 2021 getan. An diesem Dienstagmorgen im Frühsommer kam es auf der A66 zu einem schweren Unfall. Ein mit Schotter beladener Lastwagen fuhr nahezu ungebremst in einen Stau. Der war offenbar entstanden, weil zwei Autos beim Spurwechsel zusammengestoßen waren. Der Verkehr kam zum Erliegen, der LKW-Fahrer konnte nicht rechtzeitig bremsen. Acht Autos waren in den Unfall verwickelt, zwei von ihnen gerieten in Brand. Björn Herber setzte sofort einen Notruf ab. Christian Slowik rief die Polizei, Maurice Cox den Rettungsdienst. Alina Hüttner und Michelle Okrusch leisteten Erste Hilfe, Björn Herber half, dass kein Unfallopfer zu den Autos zurücklief. Unfallopfer Hasret Ötzkar war mit gebrochenem Bein aus ihrem Auto geklettert. Fabian Just trug sie gemeinsam mit Alina Hüttner, Michelle Okrusch, Isabel Acker, Maurice Cox und Christian Slowik aus der Gefahrenzone, kurz bevor hinter ihnen ein Unfallauto explodierte. Björn Herber half einer anderen Frau. Das entschlossene, verantwortungsvolle und beispielhafte Handeln der Ersthelferinnen und Ersthelfer hat an diesem Tag half, Schlimmeres zu verhindern.

Stellvertretend für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Heimatkommunen der Ersthelfenden sprach Gelnhausens Bürgermeister Daniel Christian Glöckner den Sieben Dank und Anerkennung aus: “Diesen 1. Juni 2021 werden die Ersthelferinnen und Ersthelfer nie vergessen. Sie sind Vorbilder für andere, denn sie haben eben nicht die Rettungsgasse zugestellt, nicht ihr Handy gezückt, nicht weggeschaut. Es sind feine Menschen, die sich trotz Gefahr aufopferungsvoll um andere gekümmert haben.“

Unfallopfer Hasret Ötzkar aus Büdingen nahm die Veranstaltung wahr, um sich bei ihren „Schutzengeln ganz offiziell zu bedanken“: „Ich weiß jetzt, was es heißt, Glück im Unglück zu haben. Im Unglück hatte ich das Glück, dass Menschen nicht von meiner Seite gewichen sind, bis der Rettungshubschrauber da war, die mich von meinem brennenden Auto ferngehalten und die meinen Vater über meine Smartwatch kontaktiert haben. Auch im Krankenhaus, in dem es wegen Corona sehr einsam war, haben sie sie mich per Videocall unterstützt.“ An die Ersthelferinnen und Ersthelfer gewandt, sagte sie: „Euer Verhalten war mutig und ehrenvoll. Ich bin froh, dass ich euch habe.“ Auch der Büdinger Tobias Ackermann gehört zu den Unfallopfern. Er schilderte, dass er am Unfalltag gesehen habe, wie die Fahrzeuge vor ihm bremsten. Er bremste ebenfalls stark und wollte den Warnblinker einschalten. Dazu kam es nicht mehr; vielmehr überschlug er sich mit seinem Fahrzeug „Die Polizei sagt, das war mein Glück, vielleicht meine Rettung. So wurde mein Wagen nicht zwischen anderen eingequetscht“, so Tobias Ackermann. Seine Lebensgefährtin Nicole Nanz ergänzte: „Wir feiern jetzt zweimal im Jahr seinen Geburtstag.“ An dem verhängnisvollen 1. Juni verlor Tobias Ackermann kurz das Bewusstsein. Als er es wiedererlangte, half ihm ein Mann in gelber Warnweste und brachte ihn hinter die Leitplanke. Diesen Mann sucht Tobias Ackermann nun: „Ich möchte mich bedanken und den Menschen kennenlernen, der mir geholfen hat.“

Ersthelferin Isabel Acker berichtete, sie habe in der Notsituation nicht begriffen, „wie groß das alles war“. Die Wächtersbacherin lenkte eines der acht Autos, die auffuhren. Nach dem Unfall sah sie neben ihrem verbeulten Fahrzeug einen Motorblock liegen. Autos brannten, Reifen explodierten, es roch nach verbranntem Gummi. Erst nach und nach sei ihr bewusst geworden, was passiert war. Sie zog ihre Warnweste an und half anderen. „Wir haben funktioniert“, sagt Isabel Acker über sich und die anderen Ersthelfenden. Jeder und jede habe kleine Aufgaben übernommen, die zusammen etwas Großes ergeben hätten. Sie etwa half Fabian Just, der die verletzte Hasret Ötzkar vom Unfallgeschehen forttrug. „Ich weiß jetzt, dass ich in Extremsituationen nicht in Panik verfalle“, so Isabel Acker: „Doch ich sehe mich nicht als Heldin. Soviel Aufmerksamkeit habe ich nicht erwartet.“

Dank, Anerkennung und kleine Präsente ihrer Heimatgemeinden überbrachten zudem die Bürgermeisterin von Mespelbrunn, Stephanie Fuchs, ihre Bürgermeisterkollegen Christian Henkel (Flieden), Timo Greuel (Langenselbold) und Adolf Ludwig (Limeshain) sowie Günter Höhn, Erster Stadtrat der Stadt Wächtersbach.