„Wir brauchen verlässliche Perspektiven und Unterstützung“

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13. April 2023 - Der Main-Kinzig-Kreis sowie 27 Städte und Gemeinden des Kreises haben einen Appell an die Bundesregierung sowie die hessische Landesregierung gerichtet, um auf ihre Situation bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten aufmerksam zu machen. Ihre Forderungen haben sie in einem 13-Punkte-Papier zusammengefasst. Darin fordern die Kreisspitze sowie die Rathäuser parteiübergreifend Entlastung.

„Wir befinden uns in einem Dauerkraftakt, den wir im Main-Kinzig-Kreis gemeinsam mit den Städten und Gemeinden meistern. Wir richten uns in personeller, organisatorischer, logistischer und finanzieller Hinsicht auf diesen Kraftakt ein, aber wir brauchen an der Basis Unterstützung und vor allem verlässliche Perspektiven, für die in Wiesbaden, Berlin und Brüssel gesorgt werden müssen“, fasst Landrat Thorsten Stolz den Hintergrund der „Main-Kinzig-Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik“ zusammen.

Adressaten der Erklärung sind gleichermaßen die Bundesregierung wie die Landesregierung. Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser haben das Schreiben ebenso erhalten wie Ministerpräsident Boris Rhein und Staatsminister Beuth, insbesondere vor dem Hintergrund des geplanten Treffens des Kanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder am 10. Mai.

Stefan Erb, Sprecher der Bürgermeisterkreisversammlung, setzt große Hoffnungen auf den 10. Mai, „aber die Hilfe brauchen wir an der Basis so früh wie möglich“: „Viele der 13 Punkte ließen sich im Mai in einem einheitlichen Maßnahmenpaket bündeln. Aber weder die Bundesregierung noch das Land Hessen müssen auf diesen Termin warten. Die Herausforderung ist nicht neu, unsere Forderungen sind es auch nicht.“

Die Kreisspitze sowie die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister schlagen insgesamt 13 Maßnahmen vor. Neben einer engeren Abstimmung und Angleichung der Flüchtlingspolitik auf Ebene der Europäischen Union geht es auf nationaler Ebene um eine eigene operative Verantwortung des Bundes bei der Aufnahme der nach Deutschland flüchtenden Menschen. Wer ohne Bleibeperspektive ist, soll schneller ins Herkunftsland zurückgebracht werden, was eine gemeinsame Initiative von Berlin und Wiesbaden erforderlich macht. In die Bundesländer und vor allem in die Kreise und Kommunen sollen nur die Geflüchteten weiterverteilt werden, für die eine Bleibeperspektive festgestellt wurde. Für eine bessere Integration fordern der Landkreis und die Kommunen Erleichterungen bei der beruflichen Integration sowie eine Kostenerstattung, nicht nur mit Blick auf die Unterbringung und Versorgung sondern auch für die folgenden Integrationsmaßnahmen.

„Für viele Familien ist der Main-Kinzig-Kreis Heimat geworden, zumindest für eine sehr lange Zeit. Es ist daher unsere langfristige Aufgabe und Verantwortung, die Menschen zu integrieren. Das braucht Raum, den wir schaffen müssen, aber das können der Kreis und die Kommunen nicht alleine“, erklärt Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler. Die Schaffung von Wohnraum, Kitas und Schulplätzen soll daher durch eine Anpassung bei den Standards und einem finanziellen Ausgleich befördert werden. Nachdem Anschreiben an das Land Hessen seitens des Kreises und der Kommunen seit Monaten unbeantwortet bleiben, fordern die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Main-Kinzig-Erklärung zudem einen hessischen Flüchtlingsgipfel.

„Wir verbinden diese Erklärung mit der Erwartungshaltung, dass diese realistischen Einschätzungen und Handlungsvorschläge der kommunalen Ebene zur aktuellen Lage der Flüchtlingssituation in die Beschlüsse dieser Zusammenkunft einfließen werden“, heißt es im Anschreiben. „Um auch künftig eine verantwortliche Aufnahme und Integration von Flüchtlingen in den Kommunen vor Ort leisten zu können und um populistischen Kräften entgegenzuwirken, bedarf es neben einer besseren finanziellen Ausstattung zahlreicher weiterer Optimierungen sowie eine grundlegende Weiterentwicklung der nationalen, aber auch europäischen Flüchtlingspolitik.“

Für Maintals Bürgermeisterin Monika Böttcher ist die gemeinsame Lösungssuche unter Beteiligung aller politischen Ebenen „die drängendste Aufgabe dieser Tage“: „Wir Kommunen stellen uns der humanitären Aufgabe, die Geflüchteten bei uns aufzunehmen. Doch der Immobilienmarkt ist in der Rhein-Main-Region ohnehin angespannt. Die Baupreise erschweren es, dass sich diese Situation durch mehr Angebot, sprich: durch neu errichteten Wohnraum, entspannt. Alles, was die Städte und Gemeinden jetzt selbst schaffen, das schaffen sie zu hohen, aber notwendigen Kosten. Wichtig ist, dass sie diese am Ende nicht alleine tragen müssen.“

Bad Soden-Salmünsters Bürgermeister Dominik Brasch bekräftigt: „Es gibt nicht den einen Hebel alleine, mit dem wir die Situation völlig entspannen. Der Ball liegt gleichermaßen in Berlin wie in Wiesbaden. Was wir als Kommunen vor Ort zu tun haben, das wissen wir und das tun wir seit Monaten. Wir schaffen Notunterkünfte, Gemeinschaftseinrichtungen und behelfsmäßigen Wohnraum. Damit gewinnen wir etwas Zeit, um dauerhafte Bauten fertigzustellen. Am wichtigsten ist bei alledem aber, die Menschen immer mitnehmen zu können und auch begründen zu können, was wir tun und wie sich die Situation darstellt.“

Im Main-Kinzig-Kreis sind vergangenes Jahr rund 9.200 Geflüchtete und Asylsuchende registriert, untergebracht und versorgt worden. Im Jahr 2023 sind es bisher rund 1.100, wobei die Dynamik des Fluchtgeschehens über den Sommer hinweg zunimmt.

„Wir erwarten, dass zwischen Bund und Ländern am 10. Mai ein Maßnahmenbündel geschnürt wird und sich unsere 13 Punkte darin wiederfinden. Wenn ich mir Initiativen dieser Art aus anderen Teilen des Landes anschaue, dann sind das realistische und von breiter Basis getragene Forderungen. Wir brauchen diese verlässliche Perspektiven ganz einfach“, so Landrat Thorsten Stolz. „Der Main-Kinzig-Kreis steht stellvertretend für die kommunale Familie, die die Unterbringung, Versorgung und Betreuung von Geflüchteten und Asylsuchenden stemmt. Und da ist es das Mindeste, dass diese kommunale Familie nicht wie Bittsteller behandelt wird, sondern durch Bund und Land den Rücken gestärkt bekommt.“

Main-Kinzig-Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik 13-Punkte-Plan des Main-Kinzig-Kreises und 27 kreisangehörigen Städten und Gemeinden

In Anlehnung an die Stuttgarter Erklärung der kommunalen Spitzenverbände in Baden-Württemberg für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik und zur ausdrücklichen Unterstützung dieser, schlagen die nachstehenden Unterzeichner der Bundesregierung und der Hessischen Landesregierung folgenden 13-Punkte-Plan vor:

Einleitung

In Europa wurden im vergangenen Jahr 966.000 Asylanträge registriert. Zudem sind ca. 4 Millionen Menschen aus der Ukraine in der EU als Geflüchtete registriert. Im Jahr 2022 wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 244.132 Asylanträge gestellt, dies sind 27,9 Prozent mehr als im Vorjahr 2021. Bis zum Jahresende 2022 wurden in Deutschland außerdem 1.045.185 Geflüchtete aus der Ukraine, überwiegend Frauen und Kinder, im Ausländerzentralregister erfasst. Damit hat die Bundesrepublik Deutschland sowohl bezogen auf die Geflüchteten aus der Ukraine, als auch bei den Asylbewerbern überdurchschnittlich viele Menschen aufgenommen. Beispielsweise hat allein das Bundesland Hessen mehr Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen, als die gesamte Republik Griechenland.

Der Main-Kinzig-Kreis mit seinen 29 Städten und Gemeinden ist mit knapp 429.000 Einwohnerinnen und Einwohnern der größte Landkreis in Hessen. Im vergangenen Jahr haben im Main-Kinzig-Kreis über 9.200 Menschen ein Obdach gefunden. Das sind so viele Menschen, wie die drei kreisangehörigen Gemeinden Flörsbachtal, Jossgrund und Niederdorfelden zusammen an Einwohnern haben. Der Main-Kinzig-Kreis hat pro Einwohner beinahe doppelt so viele Geflüchtete aufgenommen wie die Stadt Frankfurt oder der Odenwaldkreis und ca. 2,5 mal so viele wie die Stadt Offenbach. Würde man die SOLL-Zahlen des Landes zugrunde legen, wäre der Unterschied noch größer.

Zeiten eines ohnehin akuten Wohnraummangels, tausender fehlender Kitaplätze und eines ausgelasteten Bildungssystems macht dies deutlich, dass die Kommunen mit großem Engagement für die Solidarität mit der Ukraine einstehen und sich zudem auch deutlich zu ihren humanitären Pflichten bekennen. Gemeinsam mit einem hohen Engagement der Bevölkerung ist so vor Ort eine Unterbringung, Versorgung und beginnende Integration noch gelungen.

Es gehört aber ebenfalls zur Pflicht der Kommunen, als bürgernächste Ebene der übergeordneten Politik eine realistische Einschätzung der Lage zu eröffnen. Wir tun dies in unserem gesamtstaatlichen Selbstverständnis und aus Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Gemeinden, Städten und Landkreisen.

Die Aufnahmesituation in den Landkreisen sowie den Städten und Gemeinden ist seit Monaten massiv angespannt. Die Kommunen leisten seit mehr als einem Jahr erneut Großartiges, wenn es um die Aufnahme, Versorgung und Integration einer großen Zahl an geflüchteten Menschen geht.

Das Dilemma zwischen der humanitären Pflicht und dem faktisch Möglichen wird jedoch immer größer. Selbst die in großer Zahl zusätzlich geschaffenen Kapazitäten sind nahezu und fast überall erschöpft: Unterkünfte und Wohnraum sind voll belegt, haupt- und ehrenamtliche Kräfte am Rande ihrer Leistungskraft, Kitas und Schulen überlastet und freie Plätze in Sprach- und Integrationsangeboten kaum verfügbar. Die Gefahr, dass sich die Akzeptanz für Migration in der Gesellschaft merklich verschlechtern wird, ist leider reell.

Um auch künftig eine verantwortliche Aufnahme und Integration von Ukrainern als auch Asylbewerbern in den Kommunen vor Ort leisten zu können und um populistischen Kräften entgegenzuwirken, bedarf es daher einer grundlegenden Weiterentwicklung der europäischen und nationalen Flüchtlingspolitik.

Dazu schlagen wir folgende Maßnahmen vor:

1. Europaweit gleichmäßige Verteilung

Die Bundesrepublik Deutschland hat im Jahr 2022 sowohl bei den Geflüchteten aus der Ukraine als auch bei den Asylbewerbern überdurchschnittlich viele Menschen aufgenommen und ist damit innerhalb der EU in Vorleistung getreten.

Im Hinblick auf die zu erwartenden weiteren Aufnahmen muss daher eine gleichmäßige Verteilung unter Anrechnung dieser bundesdeutschen Vorleistung sichergestellt werden.

Europa ist dann stark, wenn es gelingt, die großen Zukunftsaufgaben fair auf die Schultern aller 27 Mitgliedsstaaten zu verteilen. Europäische Solidarität darf keine Einbahnstraße sein. Daher müssen die Fortschritte bei der europäischen Migrationspolitik nach der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rats vom 9. Februar 2023 nun auch spürbare Ergebnisse zeigen.

2. Harmonisierung der Integrations- und Sozialleistungen innerhalb der EU im Sinne einer Gleichwertigkeit der gewährten Leistungen

Zu einer einheitlichen Flüchtlingspolitik auf europäischer Ebene gehört auch die Gleichwertigkeit der in den einzelnen Mitgliedsstaaten gewährten Integrations- und Sozialleistungen, gemessen an den jeweils gegebenen nationalen Lebens- und Sozialstandards. Unterschiedliche Leistungsniveaus können eine ungleichmäßige Verteilung innerhalb der EU weiter verstärken. Europa muss beweisen, dass es auch bei solch großen Fragen mit einer Stimme sprechen kann.

Bereits jetzt wird deutlich, dass auch innerhalb Deutschlands der schnelle Wechsel ins SGB II für die Vertriebenen aus der Ukraine einen deutlichen Unterschied zu den anderen Asylbewerbern darstellt.

Im Vergleich zum Rest Europas ist dieser Unterschied noch drastischer. Dass das SGB II zudem die Realitäten der Flüchtlingsunterbringung in Gemeinschafts- und Notunterkünften nicht abbildet und hier keine Sachleistungsoptionen bietet, ist ein Versäumnis.

3. Nationale Ankunftszentren zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Registrierung

Der Bund hat die Verantwortung für die Asylverfahren und ist als Gesetzgeber auch zuständig für die Zugangsregeln in die Bundesrepublik Deutschland. Zugleich haben im bisherigen Aufnahmesystem einzig die Länder und Kommunen die dafür erforderlichen Aufnahmekapazitäten zu schaffen, auch für den Personenkreis, der keine Bleibeperspektive hat.

Hinzu kommt, dass schon beim Zugang in die Bundesrepublik Deutschland eine wirksame Sicherheitsüberprüfung (Identitätsfeststellung bei Registrierung) stattfinden sollte. Deshalb soll auch der Bund eine eigene operative Verantwortung bei der Aufnahme der nach Deutschland flüchtenden Menschen übernehmen.

Denkbar wäre, hierzu nationale Ankunftszentren zu errichten, in denen insbesondere eine lückenlose erkennungsdienstliche Behandlung, eine Registrierung sowie eine Gesundheitsuntersuchung stattfinden sollten. Die Erfahrungen aus den sog. AnkER-Einrichtungen des BAMF können hierbei herangezogen werden.

4. BAMF-Antragsstrecken zur schnellen Klärung von Aufenthaltschancen (24-Stunden-Verfahren)

Innerhalb dieser nationalen Aufnahmezentren sollte dann für den Personenkreis der Asylsuchenden das Vorliegen einer etwaigen Bleibeperspektive im Rahmen schneller Prüfverfahren nach dem Beispiel der in den sogenannten AnkER-Zentren etablierten Antragsstrecken in der Verantwortung des BAMF geprüft werden.

5. Rückführung der Personen ohne Bleibeperspektive direkt aus den nationalen Ankunftszentren

Eine Rückführung der nicht bleibeberechtigten Menschen sollte sodann direkt aus den Ankunftszentren erfolgen. Dies würde die Rückführung vereinfachen und zugleich die erforderliche Rückführungskonsequenz verdeutlichen. Die Durchführung von Rückführungen liegt in der zentralen Zuständigkeit des Landes Hessen. Auch das Land muss seine Rückführungsbemühungen konsequent verstärken.

6. Ausweitung der bilateralen Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern insbesondere auch durch Verbindung mit Entwicklungshilfemitteln

Die Rückführung sollte durch eine Ausweitung bestehender bzw. den Abschluss zusätzlicher bilateraler Abkommen mit den in Betracht kommenden Herkunftsstaaten weiter verbessert werden. Wir unterstützen hier ausdrücklich die diesbezügliche Absicht und erste Aktivitäten der Bundesregierung mit dem neu berufenen Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen, Joachim Stamp, insbesondere den Ansatz, solche Abkommen in eine kausale Verbindung mit potenziellen Geldern zum Aufbau bzw. für Entwicklungshilfe zu stellen.

7. Weiterverteilung der Bleibeberechtigten auf die Bundesländer und Landkreise

Eine Weiterverteilung auf die Länder und somit in Richtung der Kommunen sollte nur für Personen erfolgen, für die eine Bleibeperspektive festgestellt wurde.

Darüber hinaus muss die Kapazität der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung drastisch erhöht werden, damit es nicht erneut zu massiven Zuweisungen von Asylbewerbern in die Kommunen kommt, die noch nicht einmal einen Asylantrag stellen konnten. Zudem ist gerade in Hessen die Verteilung auf die Gebietskörperschaften derzeit von einer massiven Ungleichheit geprägt. Die aktuell erneuerte dafür verantwortliche Verteilungs- und Unterbringungsvorschrift ist gemeinsam mit den Gebietskörperschaften zu überarbeiten und auf die derzeitigen Situationen anzupassen. Zudem muss auch die Landesregierung ihre eigenen dauerhaften Unterbringungskapazitäten deutlich erhöhen, um Puffermöglichkeiten für die kommunale Ebene zu bieten. Auch hier sind eigene Ankunftszentren analog z.B. der bayerischen Praxis denkbar.

8. Verbindliche Integrationsmaßnahmen für erwerbsfähige, aber nicht erwerbstätige Geflüchtete

In Zeiten eines ausgeprägten Fach- und Arbeitskräftemangels ist es nicht nachvollziehbar, warum nach wie vor viele erwerbsfähige Geflüchtete weder einer Erwerbstätigkeit nachgehen noch gemeinnützige Arbeiten verrichten (können). Dies dürfte auch nicht im Interesse der Geflüchteten liegen. Allen, die wie in Ziffer 7 beschrieben, auf Länder und Kommunen verteilt werden, ist auch eine Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Soweit dies nicht gelingt und erwerbsfähige Geflüchtete nicht erwerbstätig sind, sollten sie im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht grundsätzlich verpflichtet sein, einer Tätigkeit im öffentlichen Interesse nachzugehen. Eine solche Verpflichtung lässt sich verfassungs- und völkerrechtskonform ausformen und sollte über die bisherigen rechtlichen Verpflichtungen zur Annahme auch von gemeinnütziger Arbeit hinausgehen. Die verpflichtende Ausübung einer Tätigkeit im öffentlichen Interesse sollte mit einem Sprachkurs verbunden werden. Die verpflichtende Tätigkeit im öffentlichen Interesse sollte in den verschiedenen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, im Alten- und Pflegebereich oder in geeigneten Mangelberufen absolviert werden. Die Ausübung derartiger Tätigkeiten kann eine gute Basis für eine anschließende Berufsausbildung oder Berufstätigkeit und damit für eine gelingende Integration sein.

9. Vollständige Kostenerstattung für kommunale Aufwendungen, sowohl für Unterbringung und Aufnahme, aber auch für Kita, Schule und allgemeine Integrationsleistung

Die aktuelle Zugangssituation übersteigt die durchschnittlichen Zugänge der letzten Jahre in gravierendem Umfang. Die Folge ist, dass gerade auf der kommunalen Ebene erhebliche finanzielle und personelle Mehrbelastungen entstehen.

Zwar haben Bund und Länder hier im Rahmen der Verhandlungen im November 2022 eine Zusatzfinanzierung in Höhe von 2,75 Mrd. Euro für 2023 vereinbart. Angesichts der seither nochmals deutlich gewachsenen Bedarfe an Unterkünften, Wohnraum, Kitaplätzen und allgemeinen Integrationsstrukturen braucht es jedoch eine klare politische Zusage, dass die den Kommunen tatsächlich entstehenden Kosten vollständig erstattet werden. Diese Zusage muss auch die mittelbar entstehenden Kosten (Kita, Schulen und Integration) ausdrücklich mit einschließen. Zwingend erforderlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Bund die flüchtlingsbedingten Kosten der Unterkunft vollständig übernimmt, wie dies bis Ende 2021 bereits der Fall gewesen ist.

Das Land Hessen wird darüber hinaus aufgefordert, die zusätzlichen Finanzmittel des Bundes in voller Höhe an die Landkreise weiterzuleiten, sowie die Pauschalen nach dem Landesaufnahmegesetz kostendeckend auszugestalten. Die kommunale Familie darf nicht länger wie ein Bittsteller behandelt werden!

10. Mehr Wohnraum, mehr Kitas, mehr Integration

Es muss dringend eine gemeinsame Kraftanstrengung für einen beschleunigten Ausbau an Wohnraum, Kitaplätzen und Schulräumen sowie eine flächendeckende Gewährleistung erfolgversprechender Integrationsstrukturen geleistet werden. In all diesen Feldern besteht schon aktuell ein Mangel an Kapazitäten, der sich seit geraumer Zeit auch nachteilig für die einheimische Bevölkerung auswirkt. Um eine sich weiter zuspitzende Konkurrenzsituation zu vermeiden und einen Wettbewerb zwischen inländischen Wohnungssuchenden und Geflüchteten auszuschließen, braucht es eine gezielte und unbürokratische Investitionsoffensive mit einem deutlich vereinfachten Genehmigungsrahmen und auf der Grundlage realistisch erfüllbarer Standards. Insbesondere die Schaffung zusätzlichen Wohnraums ist in den Fokus zu rücken. Bund und Land müssen hierzu entsprechende Investitionsförderungen (insbesondere für den kommunalen Wohnungsbau) auf den Weg bringen.

11. Durch Standardabbau und Entbürokratisierung Personalnot begegnen

Den Landkreisen, Städten und Gemeinden fällt es auch deswegen immer schwerer, ihre vielfältigen Aufgaben bei der Unterbringung, Versorgung und Integration der geflüchteten Menschen zu erfüllen, weil es schlichtweg am dafür erforderlichen Personal fehlt. Der massive Fach- und Arbeitskräftemangel schlägt hier voll durch, und zwar in allen Bereichen – von den Ausländerbehörden über die Jugendämter bis zur Verwaltung von Immobilien.

Dies ist auch der entscheidende Unterschied zu der Situation 2015/2016, als sich die Kommunen auf dem Arbeitsmarkt noch leichter taten. Vor diesem Hintergrund ist es zwingend erforderlich, das vorhandene Personal dadurch zu entlasten, dass Standards abgesenkt und bürokratische Verfahren konsequent vereinfacht werden. Dies gilt beispielsweise für die Anforderungen an die Unterbringung von älteren unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die Abrechnung von Flüchtlingskosten, die Qualitätsanforderungen in der Flüchtlingssozialarbeit und die vielfältigen Dokumentationspflichten.

Um das kommunale System der Geflüchtetenaufnahme funktionsfähig zu halten, bedarf es auch dort dringend einer beherzten Standardüberprüfung sowie einer umfassenden Entbürokratisierung. Gerade in den Bereichen der haushaltsplanrechtlichen Bürokratie müssen notwendigerweise Veränderungen angegangen werden. Es ist schwerlich möglich, flexibel, schnell und vor allem wirtschaftlich auf Krisen zu reagieren, wenn gleichzeitig das enge Korsett des Öffentlichen Finanzrechts mit Haushaltssatzung, Nachtragshaushalten, Stellenplan und nicht zuletzt Haushaltsausgleich vollumfänglich beachtet werden muss. Hier ist das Land Hessen gefordert, im Dialog mit den kommunalen Spitzenverbänden die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Genehmigungsfähigkeit der kommunalen Haushalte zu erleichtern.

12. Arbeitsmigration bedarfsgerecht weiterentwickeln

Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist eine der größten Zukunftsrisiken in der deutschen Volkswirtschaft. Die demografische Entwicklung wird den Fach- und Arbeitskräftemangel absehbar weiter verschärfen. Neben einer unvermeidlichen Priorisierung der öffentlichen Aufgaben und einer konsequenten Digitalisierung ist auch eine gezielte Zuwanderung qualifizierter Menschen dringend erforderlich, um diesem Mangel zu begegnen.

Das Ziel der Bundesregierung, ein Gesetz zur Verbesserung der Fachkräfteeinwanderung zu erlassen, ist daher ausdrücklich zu unterstützen. Ein solches muss bürokratiearm, weitgehend digitalisiert und eng am Bedarf der heimischen Volkswirtschaft ausgestaltet werden.

Potenzielle Bewerber müssen bereits aus dem jeweiligen Heimatland erkennen können, ob und welche Möglichkeit zur Arbeitsmigration es für sie gibt. Gerade auch dieser Aspekt kann einen wirksamen Beitrag dazu leisten, die Flüchtlingsmigration zu reduzieren, wie dies im Globalen Pakt für eine sichere, reguläre und geordnete Migration angelegt ist.

13. Initiierung eines hessischen Flüchtlingsgipfels

Die Kommunikation zwischen der Landesregierung und der kommunalen Familie hinsichtlich Unterbringung, Versorgung und Betreuung von Geflüchteten und Asylsuchenden im Bundesland Hessen muss dringend verbessert werden. Hier ist eine Kommunikation auf Augenhöhe notwendig. Ein Negativbeispiel ist hier leider das zähe Ringen um die Weiterleitung der bereitgestellten Finanzierungsmittel des Bundes. Auch die Nichtbeantwortung von dringenden Gesprächswünschen aus den Landkreisen reiht sich hier leider ein.

Im Rahmen eines eigenständigen hessischen Flüchtlingsgipfels müssen neben der Frage der Finanzierung auch grundlegende Maßnahmen zur Unterbringung, Verteilung, Versorgung und vor allem Integration von Geflüchteten und Asylsuchenden besprochen und verbindlich geregelt werden. Hierzu ist es notwendig, dass sich die Landesregierung endlich an einen Tisch mit der Kommunalen Familie setzt und auf Augenhöhe mit dieser agiert.