Kleine Schritte aus der drückenden Einsamkeit heraus

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Die Autorin Bärbel Schäfer (Mitte) las auf Einladung des Fachbereichs Kultur im Main-Kinzig-Forum in Gelnhausen. Kulturbeauftragte Andrea Sandow und Dr. Anselma Lanzendörfer (Leiterin des Amtes für Kultur, Sport, Ehrenamt und Regionalgeschichte) begrüßten die Autorin im Barbarossasaal (von links).

08.11.2022. - Bärbel Schäfer möchte an diesem Abend in Kontakt treten mit ihrem Publikum. Denn es geht immerhin um ein Thema, das viele Menschen in den zurückliegenden zwei Jahren als besonders belastend erlebt haben: Einsamkeit. Also rückt sie erst einmal ihren Tisch und Stuhl kurzerhand ein bisschen näher an das Publikum heran, das zahlreich erschienen ist und im Barbarossasaal des Main-Kinzig-Forums gespannt auf den Beginn der Lesung wartet. Die Autorin, Moderatorin und Journalistin ist der Einladung des Fachbereichs Kultur in Kooperation mit der Gelnhäuser Brentano-Buchhandlung gefolgt und stellte ihr aktuelles Buch „Avas Geheimnis. Meine Begegnung mit der Einsamkeit“ im Main-Kinzig-Forum in Gelnhausen vor.

Die Lesung war kurzweilig, interessant und wurde immer wieder unterbrochen von Erläuterungen und Einordnungen des Inhalts. Bärbel Schäfer erweist sich in ihrem Buch als mitfühlende und scharfsichtige Erzählerin, die ein besonderes Gespür für Stimmungen und Situationen hat, die sie trefflich beschreibt. Sie ermöglicht ihrem Publikum dabei sehr persönliche Einblicke in die Seelenwelt einer Frau, die sich ganz in sich zurückgezogen hat und kaum mehr in der Lage ist, mit der Welt da draußen in Kontakt zu treten. Sie steckt fest in einem Panzer aus Einsamkeit.

Einsamkeit als Epidemie im Verborgenen – mit diesem Thema rührt Bärbel Schäfer an ein Tabu in unserer Gesellschaft, in der Gefühle von Traurigkeit und tiefer Verlassenheit keinen Platz zu haben scheinen. So schildert Bärbel Schäfer behutsam die Begegnungen mit Ava, der Schwester einer Freundin, die im Krankenhaus liegt, weil sie sich bei einem Sturz verletzt hat. Dabei erkennt die Erzählerin, dass aus der einst lebensfrohen und kontaktfreudigen Ava ein Mensch geworden ist, der kaum die Kraft für ein Gespräch und für Höflichkeiten hat. Während es gesellschaftlich völlig akzeptiert ist, äußere Verletzungen in Ruhe ausheilen zu lassen, sind die Verletzungen der Seele eher etwas, das Betroffene verbergen und mit sich selbst ausmachen. „Wie es wohl ist, wenn man das Zutrauen in sich und das Leben verliert?“, fragt sich die Erzählerin nach den Begegnungen mit Ava, die durch ihre verschlossene Art vor allem eines signalisiert: Abwehr.

Dabei ist doch die verlässliche Anteilnahme an Anderen gerade dann so wichtig, wenn es den Betroffenen schlecht geht. Wie schwierig dies auch für jene ist, die auf diese Mauer aus Traurigkeit treffen, während sie selbst mitten im Leben stehen und Arbeit haben, Familie und Freunde, schildert Bärbel Schäfer sehr anschaulich. Und sie erzählt, dass es lohnt, nicht nachzulassen, auch wenn das Gegenüber völlig ohne dieses so wichtige Zutrauen ist. In kleinen Schritten geht es für Ava voran. So berührt die Lesung nicht nur die traurigen und hoffnungslosen Seiten des Lebens, sondern auch, was am Ende Kraft gibt. Da geht es dann schlichtweg darum, anderen das zu sein, was man doch selbst auch am meisten braucht: Freund oder Freundin. Diese Einladung, besonders in Krisenzeiten Freund oder Freundin für einen anderen Menschen zu sein, gibt Bärbel Schäfer ihrem Publikum als wichtigste Botschaft mit auf den Weg.

Kulturbeauftragte Andrea Sandow gab im Anschluss an die Lesung den Hinweis, dass das Team der Telefonseelsorge rund um die Uhr für Gespräche zur Verfügung steht. Die bundesweite Hotline ist erreichbar per Telefon (0800) 1110111, (0800) 1110222 oder 116 123 sowie per Mail und Chat über online.telefonseelsorge.de.

Bärbel Schäfer: Avas Geheimnis. Meine Begegnung mit der Einsamkeit. 240 Seiten. Verlag Kösel. 20 Euro.