Unterbringungssituation bleibt angespannt

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1. November 2022. - Die Unterbringungssituation für Asylsuchende und Vertriebene bleibt im Kreisgebiet weiterhin angespannt. Während einige Kreisobjekte derzeit als Notunterkünfte und Gemeinschaftseinrichtungen aufgebaut und umgerüstet werden, hat sich das Vorhaben des Main-Kinzig-Kreises zerschlagen, wenigstens über die Wintermonate Menschen in den leerstehenden Schullandheim-Häusern der Wegscheide in Bad Orb unterzubringen.

„In den Häusern in Bad Orb hätten wir in dieser schwierigen Lage mehrere hundert Menschen zumindest mal bis in den Februar hinein ein Obdach und eine Versorgung bieten können. Allerdings können wir die teilweise illusorischen Forderungen der Stadt Frankfurt dazu einfach nicht erfüllen“, erklärte Landrat Thorsten Stolz. Der Kreis muss daher auf andere Objekte setzen.

Der Main-Kinzig-Kreis hatte über viele Wochen hinweg versucht, einen Kontakt und eine Einigung mit der Stadt Frankfurt herzustellen. Die Mainmetropole ist Erbpachtnehmerin des Schullandheims. Nach ersten mündlichen positiven Signalen, in der herausfordernden Situation helfen zu wollen, erreichte den Main-Kinzig-Kreis nun ein schriftlicher Katalog an Bedingungen, „der in keiner Weise vereinbar ist mit unserer täglich zu bewältigenden Aufgabe, Menschen kurzfristig, zuverlässig und menschenwürdig unterzubringen“, wie Landrat Stolz anmerkte.

Unter anderem solle der Landkreis nur bestimmte Menschengruppen nach Bad Orb bringen, sie auf anderen als den vorhandenen Betten schlafen lassen und auch nur in einer von Frankfurt vorgegebenen Gesamtzahl – weit unter der tatsächlichen Platzzahl auf dem Gelände und weit unter der Platzzahl, die der Landkreis geplant hatte. Vorsorglich drohte die Stadt Frankfurt in ihrem Schreiben mit immens hohen nachvertraglichen Pflichten, Strafzahlungen und Konventionalstrafen.

„Entweder man hilft in dieser Notsituation oder man lässt es“, so der Landrat, wobei er nach zahlreichen Gesprächen in den vergangenen Tagen bis zuletzt auf eine gute interkommunale Lösung gehofft hatte. Seiner Einordnung zufolge erkläre sich der Vorgang aus der schieren Platznot, die der Main-Kinzig-Kreis angesichts von bis zu 160 neu unterzubringenden Personen pro Woche habe und andererseits dem Gefühl der Stadt Frankfurt, in dieser Situation die Bedingungen zu ihren Gunsten diktieren zu können, auch wenn es um Leerstände und eine humanitäre Pflicht zur Vermeidung von Obdachlosigkeit geht.

„Die von der Stadt und der Stiftung Wegscheide an den Tag gelegte faktische Verweigerungshaltung beschädigt massiv unser Bild der Mainmetropole. So dürfen kommunale Partner in einer Krisensituation nicht miteinander umgehen. Die Menschen im Main-Kinzig-Kreis werden für diese Haltung keinerlei Verständnis an den Tag legen. Auf der einen Seite müssen wir Turnhallen aus der eigentlichen Nutzung nehmen, schränken Schul- und Vereinssport erheblich ein, auf der anderen Seite stehen Unterkünfte über die Wintermonate komplett leer“, kritisierte Landrat Stolz.

Der Main-Kinzig-Kreis schöpft indessen seine bestehenden Platz-Reserven aus. Im Jugendzentrum Ronneburg beginnen in den nächsten Tagen die Vorbereitungen zur Belegung einzelner Häuser mit Geflüchteten. Die kreiseigene Einrichtung wird temporär erneut mitgenutzt, um dringend notwendige Plätze verfügbar zu haben, bevor die Menschen in die Kommunen weitervermittelt werden. Der Aufbau der Notunterkunft an der Kreisrealschule in Gelnhausen ist schon recht weit fortgeschritten; die Leichtbauhalle steht bereits und könnte bis Anfang Dezember belegt werden. Die vorbereitenden Arbeiten für eine Gemeinschaftseinrichtung in Freigericht laufen, hier ist ebenfalls eine Belegung im Dezember das Ziel.

„Wir haben eine dynamische Situation, wobei der Kreis derzeit große Anstrengungen unternimmt, dass wir von den Platzkapazitäten her mit dieser Dynamik Schritt halten und für die Kommunen einen Puffer schaffen, die ebenfalls eigene Anstrengungen vornehmen müssen“, erklärte Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler.

Seit Anfang dieses Jahres sind mehr als 6.500 Vertriebene und Asylsuchende im Main-Kinzig-Kreis angekommen, bis Jahresende könnten noch über 1.500 hinzukommen. Sie werden regelhaft zuerst in Notunterkünften untergebracht – vier an der Zahl hat der Main-Kinzig-Kreis in den Hallen in Birstein, Hanau-Mittelbuchen, Langenselbold und Wächtersbach eingerichtet. Danach erhalten sie eine dauerhafte Unterbringung in den Städten und Gemeinden oder in einer der mittlerweile zehn Gemeinschaftseinrichtungen, die der Main-Kinzig-Kreis betreibt. Die Plätze in den Kreis-Immobilien sind weitgehend ausgeschöpft.

Susanne Simmler bewertet die Lage mit Blick auf die kommenden Wochen als äußerst kritisch. „Wir sind bei einzelnen Objekten noch in der Abstimmung, weitere Standorte für Hallen oder Containeranlagen werden geprüft, dann aber sind wir an realen Kapazitätsgrenzen angelangt. Eigene Liegenschaften, angemietete größere Unterbringungen: Mehr geht dann an Puffer für unsere Städte und Gemeinden in diesem Herbst und Winter nicht mehr, wenn wir nicht weitere Turnhallen belegen wollen, und genau das müssen wir alle gemeinsam mit aller Kraft verhindern“, so Simmler.

Die Kreisspitze erneuerte ihren Appell an die Landesregierung, schleunigst eine gerechtere Verteilsystematik in Kraft zu setzen. Zudem müsse das Land Hessen selbst mithelfen, die Unterbringungsplätze für Asylsuchende auszuweiten. Eine dringende Bitte von Landrat Thorsten Stolz, Erster Kreisbeigeordneter Susanne Simmler und Kreisbeigeordnetem Winfried Ottmann um ein Gespräch mit Ministerpräsident Boris Rhein – immerhin schon vor fünf Wochen abgeschickt – ist noch immer unbeantwortet. Erhalten hat der Main-Kinzig-Kreis lediglich eine Eingangsbestätigung aus Wiesbaden.

Landrat Thorsten Stolz sieht die kommunale Ebene in einem Dilemma. „Der Bund und das Land überlassen das Thema Unterbringung im Moment komplett der Politik und den Verwaltungen vor Ort. Wir erhalten nach wie vor keine Entlastung, weder bei der Unterbringung noch bei der Refinanzierung unserer Maßnahmen. Dabei braucht es zum Erhalt des gesellschaftlichen Zusammenhalts das Zutun aller“, so Stolz. Die Landkreise, Städte und Gemeinden würden nun nach und nach dazu gezwungen, Turnhallen und gemeindliche Häuser mitzunutzen, zumal die Zuweisungen in die Fläche auch nach dem 31. Dezember weitergingen. „Aber selbst mit öffentlichem Raum, von den Einschränkungen für Schulen und Vereine mal abgesehen, ist es alleine ja nicht getan. Wir wollen, dass die Menschen betreut und versorgt werden, was wiederum Personal und Ressourcen bindet. Hier brauchen wir auf der kommunalen Ebene direkte und echte Hilfe“, fordert Landrat Stolz.